Manche Priester haben ein Beziehungsproblem. Mit Gott.

Von der Langfristigkeit des Glücks

Bistum Chur Sexualität und Zölibat

Bericht zum Priestertreffen, 16. Mai 2011, Einsiedeln

Am Priestertreffen des Bistums Chur vom 16. Mai trafen sich Bischof Vitus Huonder und Weihbischof Marian Eleganti mit rund 70 Priestern in Einsiedeln. Dort gab der Wiener Psychiater, Neurologe und Psychotherapeut Raphael Bonelli Einblicke in die moderne Psychotherapie. Er zeigte, wie der Mythos von der Sexualität als Ventil gegen Triebstau Menschen unglücklich macht.

Wenn man Sexualität nicht auslebt, wird man krank. Jeder soll darauf achten, welches seine Bedürfnisse sind, wie es ihm gerade geht, das weist den Weg zur Erfüllung. Wer weiss, was ihm fehlt, kann es überwinden und glücklicher sein. – Dies sind einige Grundsätze, an denen sich heute viele Menschen orientieren. Doch vor dem Hintergrund seiner 20jährigen Erfahrung als Psychiater, Therapeut und Wissenschaftler liess Raphael Bonelli keinen dieser Grundsätze gelten.

Orientierung an Tugenden statt an Gefühlen

In der positiven Psychotherapie der veralteten Schule wird gemäss Bonelli primär nach den Defiziten und Bedürfnissen des Patienten gefragt. Der religiöse Mensch werde sogar oft insgesamt als defizitär betrachtet, wegen Freuds These des Glaubens als kollektive Zwangsneurose. So muss der katholische Priester mit dem tiefsitzenden Vorurteil leben, er unterdrücke den natürlichen Trieb und sei nicht nur zwangsneurotisch, sondern auch gefährlich, wie ein lebender Dampfkochtopf ohne Ventil.

Die moderne positive Psychotherapie fragt gemäss Bonelli nicht nach Defiziten, oder nach den Launen der Befindlichkeit, sondern sie will den Blick öffnen auf das Langfristige, das glücklich macht, auf erstrebenswerte Tugenden, wie die Kardinaltugenden, die in der psychologischen Forschung etwa von Martin Seligmann bestätigt werden. Gemäss Bonelli rührt viel Leid daher, dass die Menschen zum Dauerhaften nicht mehr fähig oder willens sind, da es unterwegs Verzicht kostet. Das gerade Drängende steht im Vordergrund, nicht das, was ein Leben tragen kann. Dazu lehren schlechte Ratgeber, sich ganz auf sich selbst, auf die wechselnden Eingebungen des Ich zu konzentrieren. Das führt zu Enttäuschungen und nicht selten in die Verblendung einer egozentrischen, selbstmitleidigen Gefühlsanalyse.

Beziehungsstörung

Demgegenüber ist Bonelli überzeugt, dass es meist um Beziehungsstörungen geht, ob zwischen Mann und Frau, oder zwischen dem zölibatären Priester und Gott. In beiden Fällen verlässt der Mensch seine Grundausrichtung und flieht in Ersatzbedürfnisse. Geleitet von Gefühlen, die kein Gradmesser der Richtigkeit oder Wahrheit sind, aber als zwingend erscheinen, verliert der Mensch seine Entscheidungsfreiheit. Denn gemäss dem Wiener Psychiater erlöst das Kreisen um die eigene Befindlichkeit nicht, sondern präsentiert dem in sich hinein horchenden Ich quasi immer buntere Bedürfnisse. Diese „ichhafte Dynamik” sei ein sicheres Ticket ins Unglück, so Bonelli, gerade in der Sexualität. Entgegen dem Mythos sei diese kein obligatorisch auszulebender Trieb, ohne eigentliche Zugriffsmacht des Willens. Es gehe auch nicht um eine isolierbare Lustquelle, sondern um einen integralen Bestandteil des Menschen in seiner leiblichen und geistigen Dimension. Daher brauche Sexualität Kultivierung. Es gelte eine Kommunikationsform der Liebe zu lernen, die nach dem Du und nicht nach sich selbst frage. Dies setze die Fähigkeit voraus, sich zurück zu nehmen.

Wie aber steht es heute um die Akzeptanz eines solchen Selbstverzichts? Eher schlecht, sofern die Scheidungsraten und Beziehungskrisen ein Indikator sind. Und wenn der Priester seinen Zölibat gut lebt, wenn er die Enthaltsamkeit als Form der Freiheit für seinen Dienst empfindet, dann ist dies eine zusätzliche Provokation. Es widerspricht nicht nur dem Mythos des Triebstaus und einer angeblich zwingenden Kette von Bedürfnisbefriedigungen, die der Mainstream gern als Befreiungsweg zelebriert. Der zölibatäre Priester lebt auch einen Verzicht, den er als Kultur der radikalen Hingabe versteht. Dies stellt die Idee vom Widerstreit zwischen Freiheit und Verzicht in Frage, genau wie die Idee einer Selbstverwirklichung durch Erlebnismaximierung.

Saftig Menschsein

Vor diesem Hintergrund hielt Bonelli fest, dass es am Ende darum gehe, saftig und lebensfroh Mensch zu sein. Dies sei aber ohne Askese nicht möglich. Auch nicht mit der Frage: was sind gerade meine Bedürfnisse? Sondern: was ist langfristig gefragt, welches ist meine wesensgemässe Grundausrichtung? Denn die eigenen Gefühle seien nicht automatisch Indikatoren für Erstrebenswertes oder Wahres, sondern man müsse sie als wechselhaft begreifen und im langfristigen Horizont einer bewährten Lebensform sehen.

Zusammenfassend lässt sich also sagen: die psychologische Forschung zeigt, dass langfristig gesehen die oft kritisierte Sexualmoral der Kirche eben doch recht hat. Weil sie den Menschen nicht kurzfristigen Befriedigungsketten ausliefert, sondern auf das Fundament einer verlässlichen, bewährten Grundausrichtung verweist.

Giuseppe Gracia
Beauftragter für Medien und Kommunikation

Quelle: pdf
kath.net: Manche Priester haben ein Beziehungsproblem. Mit Gott.
Website: Dr. Raphael Bonelli

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